Tag 34: von O Porto de Espasante nach Cariño (17,2 km = 703 km)
¡Buenos días! Wir sitzen beim Frühstück und haben es gar nicht eilig, denn es regnet. Unsere sehr freundliche Herbergsmutter Lolita bemerkt wohl unsere sparsamen Gesichter. Sie fragt, wo wir heute hinwandern wollen und bietet an, uns ein Stück zu fahren. Nach einer äußerst kurzen Bedenkzeit willigen wir dankend ein. Die Konversation während der Fahrt nach Ortigueira findet fast ausschließlich über eine Übersetzung-App mittels Spracheingabe statt. Allerdings kommt die App schnell an ihre Grenzen, Lolita macht keine Sprechpausen. Immer wenn ich etwas in mein Handy sprechen will, war sie schneller. Ich fahre meinen Gesprächsanteil daher auf ein gelegentliches „Aha“ oder „Muy bien“ herunter. Das funktioniert. Außerdem muss ich mich darauf konzentrieren, das Frühstück bei mir zu behalten. Lolitas Familienname ist sicherlich Alonso, sie fährt so schnell wie sie spricht …
Wir kommen mit flauem Magen in Ortigueira an (Ralf berichtigte mich: Nur ich hatte einen flauen Magen. Das lag vielleicht daran, dass er hinten gechillt hat, während ich mir das ganze Spektakel vom Beifahrersitz ansehen musste). Es hat fast aufgehört zu regnen. Lolita fragt uns, ob es eigentlich „erlaubt“ ist, als Pilger mit dem Auto zu fahren? Ich darf ausnahmsweise einen ganzen Satz in mein Handy sprechen und ihr erklären, dass wir keine Pilger sind, sondern Wanderer. Sie lacht und lehnt unser Benzingeld-Angebot kategorisch ab. Wir sagen „¡Muchas gracias!, ¡Hasta luego!“ und haben uns zum Abschied fast umarmt. Die Masken erinnern uns aber daran, dass es momentan wohl keine gute Idee ist. Also los. Es nieselt die ganze Zeit und der Himmel ist wolkenbehangen. Trotzdem sind wir sehr froh darüber, nicht in den vorherigen Regenguss gekommen zu sein.
Auf den 17 Kilometern nach Cariño machen wir nur eine Pause:
Nach sehr langatmigen 17,2 Kilometern, fast ausschließlich auf Landstraßen, kommen wir an. Cariño ist vermutlich die nördlichste Stadt Spaniens. Nur O Porto de Bares (da waren wir vorgestern) ist noch nördlicher, aber das ist nur ein kleines Dörfchen. Im Restaurant unserer heutigen Unterkunft hauen wir uns die Bäuche voll. Ralf möchte Schweinemedaillons essen, ich bestelle mir eine Fischsuppe. Sehr lecker. Mehr war heute nicht los.
Tag 35: von Cariño nach Santo André de Teixido (15,3 km = 718,3 km)
Unser heutiges Tagesziel ist noch nicht fix. Wir haben nur zwei Punkte auf der Strecke: den Leuchtturm „Faro de Cabo Ortegal“ und die Kapelle in Santo André. Der Leuchtturm ist nur schlappe 4,5 Kilometer von unserer Unterkunft entfernt. Allerdings müssten wir die dann komplett zurücklaufen, weil es von hier oben nur einen Weg nach Santo André gibt und der führt westlich aus der Stadt raus. Außerdem liegen verträumte 450 Höhenmeter auf dem Weg (hin und zurück), die wollen wir doch lieber in einem Taxi zurücklegen. So passiert es dann auch. José holt uns ab und rast die Serpentinen zum Leuchtturm empor und wieder herunter.
Vermutlich hätten wir uns den Weg doch „verdienen“ müssen. Wir sind etwas enttäuscht, aber auch froh darüber, dass José auf uns wartet und uns nach einem etwa dreiminütigen Fotoshooting zurück in die Stadt fährt. Touris eben …
Gegen 11 Uhr geht es mit einem Leuchtturmfoto und null Kilometern auf der Uhr los. Ich habe ja schon geschrieben, dass wir zur Kapelle in Santo André de Teixido (das bedeutet Eibe) wollen. Den Floh hat uns Antonio ins Ohr gesetzt. Er erklärte, dass jeder Mensch mit seiner Geburt das Versprechen ablegt, ein Mal zu diesem heiligen Ort zu kommen. Wenn dies nicht zu Lebzeiten geschieht, wird es kompliziert, denn nach dem Tod gibt es nur zwei Möglichkeiten dorthin zu gelangen. Entweder jemand trägt ein Foto oder ein Andenken des Verstorbenen zur Kapelle oder, und jetzt wird es spannend, man muss nach einer Reinkarnation als Tier dorthin laufen, hüpfen, kriechen, fliegen oder schwimmen. Stell Dir mal vor, Du wirst als Regenwurm in Berlin wiedergeboren: „Bon Camino“ …
Der Ort war bereits für Druiden eine Pilgerstätte. Es heißt, es sei ein heiliger Platz, an dem man in eine andere Welt, Asgard oder das Jenseits (was auch immer das genau bedeutet) gelangen könne. Interessanterweise blieb der Ort nach der Übernahme der Jenseitskunde durch die katholische Kirche heilig. Im Katholizismus ist Reinkarnation eigentlich nicht vorgesehen. Im Falle von Santo André wird jedoch eine Ausnahme gemacht. Die Nummer mit der Wiedergeburt als Tier wurde auch von päpstlicher Seite abgenickt (an dieser Stelle übernehme ich keine Haftung für die Richtigkeit der Angaben, es sind frei übersetzte Aussagen Antonios).
Wie ich eingangs schrieb, war der Plan für die heutige Übernachtung noch nicht fix. Zum Glück. Denn wir haben uns erst in Santo André dazu entschlossen, unsere Isomatten sowie Schlafsäcke zu zücken und auf einer Wiese zu übernachten. Es war eine großartige Entscheidung:
Und jetzt kommt Drohni:
Noch zwei Outtakes zum Feierabend:
Tag 36: von Santo André nach Ferrol (11,3 km = 729,6 km)
In ganz Santo André gibt es nur einen Menschen, der bereits um 7 Uhr anfängt zu arbeiten. Er ist Gärtner und musste heute Morgen blöderweise die Wiese mähen, auf der wir lagen. Im gesamten Urlaub waren wir noch nie so früh wach. Also Klamotten zusammenpacken und ab dafür. Jetzt erst mal ein Käffchen und was zu knabbern, denkste … In dem Örtchen waren die Schotten noch dicht. Wir sind also nach Cedeira gelaufen. Das Städtchen ist „nur“ 11 Kilometer entfernt. Zu unserer Freude befand sich direkt am Ortsausgang von Santo André ein Berg mit leckeren 245 Höhenmetern. Das war fast wie Frühstück, wir waren zumindest satt.
Wir kommen endlich in Cedeira an. Erstmal die Vorräte auffüllen und dann ein Frühstückscafé suchen. Irgendwie ist heute ein komischer Tag, wir sind eher semi-wanderbegeistert. Der Wetterbericht für die nächsten Tage trägt auch nicht gerade zur Stimmungsaufhellung bei. Für morgen ist Regen angesagt: 29 Liter …
Wir suchen online nach einem Zeltplatz mit Hütten. Zwei Plätze öffnen erst im Juni, der dritte ist bereits voll belegt. Was nun? Die Stimmung des heutigen Tages treibt uns zur Entscheidung, nach Ferrol zu fahren. An einem Taxistand war ein Aushang mit 12 Telefonnummern und den dazugehörigen Namen der Fahrenden. Ich arbeite die Liste von oben ab: 4 Mal „no inglés“, 2 Mal „ocupado“ (besetzt), 2 Mal direkt wieder aufgelegt … Nummer 9 war Ramón. Er kommt innerhalb von zwei Minuten zum Taxistand und fährt uns souverän nach Ferrol. Erst mal zum Hotel, Rucksäcke abschnallen und ab zum Waschcenter. Nachdem die „Arbeit“ erledigt ist, wollen wir noch ein bisschen die Stadt erkunden. Ich schnappe mir meine Kamera und greife ins Leere. Kacke, die Kamera ist weg. Nach kurzem Brainstorming komme ich darauf: Ich habe sie im Taxi liegen lassen. Glücklicherweise habe ich Ramóns Nummer noch in der Anrufliste. Nach einem kurzen Telefonat macht er sich erneut auf den Weg von Cedeira nach Ferrol (ca. 30 km) zu unserem Hotel. 40 Minuten später taucht er auf und übergibt mir die Kamera. Nachdem ich eine zweite Taxifahrt mit ordentlichem Trinkgeld bezahlt habe, will ich Ramón freundschaftlich die Hand schütteln. Wieder hält mich die Maske davon ab.
Mir gehen die Namen aus für die Gegenstände, die sich irgendwie selbstständig machen. Aber mal ehrlich, eine Kamera in einem Taxi in Spanien liegen zu lassen und glücklicherweise die Nummer des Fahrers zu haben. Wie geil ist das denn? So, es reicht für heute, ich muss langsam in die Falle. Schlaf schön und bis gleich …