Die Tage rannen uns nun zusehends durch die Finger. Wir bekamen aber keine Torschlusspanik, da wir bereits so viel sahen und erlebten in diesem wunderschönen Land. So waren wir an Tag 57 eigentlich nur etwas spazieren in Tokio. Ich ließ meine Kamera im Hotel und schnappte mir später zwei Fotos von Ralf.

Auf dem Rückweg zum Hotel kehrten wir in einer Ramen Küche ein. Beim Studium der Speisekarte erfuhr ich, dass die Ramen Fonds hier erst 20 Stunden köcheln müssen, um den typischen Geschmack zu erhalten. Es war auch wirklich köstlich aber leider brachte ein freundlicher Opi viel zu große Portionen an unseren Tisch. Wir saßen in der Zwickmühle: Opi zu verärgern weil wir nicht aufessen oder weil wir uns auf seinem Klo übergeben würden. Wir entschieden uns für Plan A. Beim Bezahlen drehte ich mehrfach meinen ausgestreckten Zeigefinger auf der Wange und untermalte diese Geste mit den Worten „Dōmo Oishī“ (viel lecker). Dann warf ich noch ein kleinlautes „but way too much“ hinterher. Er grinste, wir verbeugten uns voreinander und die Sache war geritzt. Ich traute mich allerdings nicht sehr tief zu verbeugen, um nicht versehentlich doch zu Plan B zu wechseln.

Im Hotelzimmer schauten wir uns noch eine Spielshow an, stießen um die Wette auf und sanken später mit dicken Bäuchen in die Betten.

Heute war es nun soweit, wir verließen Tokio. Viel gab es nicht zu erzählen über Tag 58. Wir planten vor dem Abflug noch zwei Nächte in der Mitte zwischen Tokio und dem Flughafen zu verbringen. Der ist etwa 80 Kilometer vom Hauptbahnhof entfernt, welcher unser heutiger „Endgegner“ werden sollte. Der Bahnhof ist ein unglaublich großes Drehkreuz mit Netzen der Regionalbahn, U-Bahn, Bussen und natürlich auch Shinkansen.

Für heute war Regen vorausgesagt worden, wir ließen unsere Kameras in den Rucksäcken. Dies sind daher nur Handy Fotos.

Klar, als Berliner kenne ich große Bahnhöfe aber in Japan das richtige Ticket zu ziehen ist gar nicht so einfach. 2h oder Tageskarten gibt es nicht und den Japan Rail Pass für ausländische Reisende kann man nur im Ausland erwerben. Den brauchten wir im Vorfeld natürlich nicht, wir wollten ja komplett laufen … Also zurück zum Fahrkartenerwerb: Das Grundprinzip ist einfach, du zahlst mehr je weiter du dich vom Startbahnhof entfernen möchtest. Klingt einleuchtend, wirft aber die Fragen auf, wie viele Stationen ist der Zielbahnhof entfernt und mit welcher Linie fahre ich eigentlich? Hierzu nochmal die Erklärung, auf den Streckenplänen werden die Bahnhöfe in Kanji Schriftzeichen angezeigt, das hilft nicht wirklich weiter.

Jetzt aber mein Profi Trick, lass dir bei Maps die Strecke mit der Bahn anzeigen, dort erfährst du den Preis in ¥. Mit dieser Information kannst du am Schalter dann einen Fahrschein der passenden Preisklasse kaufen.

Das klappt aber nur bei Einzelstrecken, zumindest wenn du nicht doppelt zahlen möchtest. Du musst nämlich beim Betreten und Verlassen der Bahnsteige dein Ticket in einen Schrankenautomaten stecken. Beim „Einchecken“ wird auf dem Magnetstreifen der Fahrkarte elektronisch der Startbahnhof vermerkt. Wenn du wieder rausgehst, bleibt dein Ticket aber im Automaten. Woher soll er auch wissen, dass du umsteigen und weiterfahren wolltest?

Ein bildhaftes Beispiel der Ein- und Auslasskontrolle.

An dieser Stelle eine wunderliche Randbemerkung. Vom „Linksverkehr“ auf Japans Straßen berichtete ich bereits. Auch davon, dass man auf Gehwegen links aneinander vorbeiläuft. Auf Treppen in Bahnhöfen galt aber vielerorts plötzlich „Rechtsverkehr“.

Selbst die Rolltreppen folgten diesem Prinzip, soll heißen, wenn man vom Bahnsteig nach oben zum Ausgang möchte befindet sich die passende Fahrtreppe (wie der Fachmann sagt) rechtsseitig. Wohingegen auf der linken Seite Reisende nach unten zum Gleis gelangen. Ich hatte nur eine Erklärung dafür, die Personenbeförderungsmittel zur Überwindung von Höhen wurden aus dem europäischen Festland kopiert und versehentlich nicht auf links gedreht. Aber wer weiß?

Glücklicherweise waren wir oft die einzigen Nutzer der herkömmlichen Treppe und hatten somit die ganze Breite zur Verfügung. Nach Verlassen des Bahnhofs wurde übrigens wieder links aneinander vorbeigelaufen …

Als wir den heutigen Zielbahnhof erreichten regnete es leicht. Der Regen wurde zusehends stärker, doch wir kamen noch halbwegs trocken in der Unterkunft an. Am Abend gesellte sich zum Dauerregen auch noch starker Wind. Wir waren sehr froh darüber für heute keinen Zeltplatz gewählt zu haben. Wir hatten zwar ein Dach über den Köpfen aber die Schiebe-Fenster und Türen klapperten besorgniserregend. In diesem Haus wollte ich keinen Taifun erleben. Dieser war übrigens für Freitag vorhergesagt, zumindest sollte er an Japans Küste vorbeischrammen.

Doch Freitag war noch lange hin, am heutigen Mittwoch herrschte wieder bestes Wetter. So beschlossen wir am vorletzten Tag unser Reise (Tag 59) ein bisschen zu wandern und ein Geschichtsmuseum zu besichtigen. Ja wir waren schon in Museen und ja auch in einem über asiatische (Früh)Geschichte aber dieses hier versprach interessant zu werden, denn es behandelte ausschließlich die japanische Geschichte. Außerdem ist es ja unsere Reise, also ab dafür.

Den hatte ich schon gestern fotografiert aber das merkt doch niemand.
Wir staunten wie hoch der Reis schon stand. Auf unseren ersten Reisfeldbildern vor zwei Monaten war eigentlich nur Wasser zu sehen.
Eine Kerzen-Palmlilie.

Nun aber ins Museum. Der Weg hatte sich gelohnt, es war tatsächlich eine schöne Ausstellung. Natürlich will ich dich nicht mit dutzenden Fotos langweilen, also hier die Kurzfassung:

Ein Junge schaut sich einen kaputten Stein an.
Ein Wolf entdeckt einen Zettel mit seinem Namen darauf, kann ihn aber nicht lesen.
H0, nur ohne Eisenbahn.
Die japanische Prinzessin auf der Erbse.
Ein kompletter Satz Panini Sammelbilder.
Ein Matrose erleichtert sich, daher der Begriff „Leichtmatrose“.

Dann betraten wir die Welt der Mythen und Geister:

Ein Waldhüter.
Ein wilder Hüter.
Bei manchen Umzügen schien Feuer im Spiel zu sein. Offenbar wurden die zuvor getragenen „Festwagen“ später den Flammen übergeben.
Hoffentlich ist hier kein Feuer im Spiel.
Dann folgte eine fast schon wissenschaftliche Abhandlung zur Evolution des „Kappa“, dem Schrecken japanischer Flüsse.

Der Legende nach ist es ein Flussmonster, welches Tieren und Menschen die Organe raubt. Die unfreiwillige Entnahme findet übrigens durch den Allerwertesten statt. Vielleicht stammt die Redewendung „Jetzt bist du am Arsch“ ja aus Japan? Die Kappa sollen sich auch an Land bewegen können und eine Vorliebe für Sumō haben. Aufgrund einer Vertiefung am Schädel können diese Wesen Wasser mit sich tragen, was ihnen übermenschliche Kräfte verleiht. Du hast also keine Chance, es sei denn du bist höflich und verbeugst dich vor dem Kampf. Ein Kappa wird es dir gleichtun und so das Wasser verschütten, jetzt kannst du ihn umhauen. Außerdem haben sie wohl eine Schwäche für Gurken, was angeblich zur Namensgebung für das Kappamaki (die Gurken-Sushi-Rollen) führte. Auch wenn das Monster in vergangenen Tagen zur Abschreckung für Kinder herhielt, gefährliche Flüsse oder Seen zu meiden, ist es nun vielerorts zu einer Art Maskotchen geworden.

Und hier ist der Kollege.
Na und den hier kennt man ja, da hilft übrigens auch kein Verbeugen.

Da Godzilla vermutlich eh der Letzte ist den man sieht, zumindest wenn man ihn zu Gesicht bekommt, war er passenderweise auch das letzte Exponat der Ausstellung. Nach dem Museum ging es schnurstracks zurück zur Unterkunft, so ein Blog schreibt sich ja leider nicht von alleine. Ralf hatte auch Termine, er dokumentierte unsere Reise auf Komoot.

Ein Bambus Wäldchen auf dem Heimweg.
Hier eine Aufforderung zur Sauberhaltung der Flüsse. Man beachte den Kappa oben rechts im Bild.
Die vermutlich letzte Kanalisationsabdeckungskunst unserer Reise.

Warum nun eigentlich Setsunai? Die deutsche Sprache ist bekannt dafür viele Begrifflichkeiten in einem Wort zusammenfassen zu können, wie sagen wir mal: Fernlastkraftwagenfahrer-sonnenlichtschutzbrille. Auch wenn das Substantiv im Duden keine Erwähnung findet, weiß doch jeder was gemeint ist. So funktioniert Sprache.

Nun versuche doch bitte mal in einem Wort auszudrücken, wie schön es aussieht wenn die Sonne durch ein Blätterdach bricht und welch herrliche Schattenspiele man dabei beobachten kann! Im Deutschen wird das schwerlich funktionieren, die Japaner haben jedoch ein Wort, um diese Beobachtung auszudrücken:

Komorebi

Ähnlich verhält es sich mit dem japanischen Wort „Setsunai“. Es beschreibt das Gefühl über den Verlust einer geliebten Person oder das Ende einer schönen Zeit. Damit aber nicht genug, denn durch das Wissen über die Endlichkeit der Dinge wird ihnen ein noch größerer Wert zugeschrieben. Es ist also eigentlich ein wehmütiges Lächeln, eine bittersüße Freude. Dieses Gefühl erfüllte mich beim Schreiben der letzten Zeilen zu dieser Reise.

Wusste ich vorher, dass das Abenteuer irgendwann enden wird? „Ja.“ Habe ich deswegen darüber nachgedacht, es gar nicht erst zu beginnen? „Natürlich nicht.“

Ich könnte noch ewig über unsere Erlebnisse in Japan schreiben. Da wir aber zum Flughafen müssen, beende ich den Reisebericht an dieser Stelle und verbleibe mit einem „Dōmo Arigatō“ für dein Interesse.