Was soll denn nun diese Kapitel-Überschrift? Die Aufklärung kommt am Ende des Eintrags. Zunächst zum heutigen Tag 27:

Wir erwachten in regennassen Zelten in einem kleinen Park. Beides überraschte mich nicht, da ich gestern die Wettervorschau studierte und mich darüber hinaus auch erinnern konnte wo wir die Zelte aufgeschlagen hatten. Trotzdem es Samstag war, schien der Park noch relativ leer zu sein, so ließ die Geräuschkulisse zumindest vermuten. Nach einer kurzen Kommunikation durch unsere Zeltwände, quasi interzeltular, beschlossen wir uns noch mal umzudrehen und das Ende des Regens abzuwarten. Dies trat gegen 10 Uhr ein. Heute, auch das wusste ich bereits, erwartete uns ein weiterer Marsch durch Dörfer und Kleinstädte entlang über Landstraßen.

Ja, das ist eine Kleinstadt in Japan.

Auch wenn wir uns mittlerweile damit abgefunden hatten, dass Japan eine Betonwanderung wird, unsere Füße schienen jeden Tag aufs Neue überrascht darüber zu sein. Daher kommt vielleicht auch die Redewendung: Aufgrund einer Überraschung „platt zu sein“?

Plötzlich erinnerten mich Gerüche an meine Vietnamreise. Es waren vermutlich die Orangenblüten.

Gestern Abend hatte ich für heute eine Unterkunft in einem Gästehaus reserviert. Wobei ich gar nicht sicher war, ob man Reservierung sagen konnte. Bereits in den Rezensionen las ich, dass es etwas knifflig sein würde einzuchecken. Nach der Buchung erhielt ich zwei E-Mails mit ellenlangen Texten in japanischen Schriftzeichen. Eine automatische Übersetzung lehnte „gmx“ ab. Ich kopierte die Texte also, um sie Stück für Stück mit einer anderen App ins Deutsche zu übersetzen. Ich las darin nach einigen Danksagungen, dass die Bestätigung nur telefonisch erfolgen könne. Im Anschluss folgten Entschuldigungen dafür, dass dies offensichtlich die einzige Möglichkeit sei ein Zimmer zu bekommen. Von unseren eingeschränkten SIM-Karten-Fähigkeiten berichtete ich ja schon, doch selbst wenn wir hätten telefonieren können, wie sollte dieses Telefonat denn ablaufen? Auf der „Haben-Seite“ stand jedoch, das Geld wurde abgebucht und in einer Bewertung las ich, dass der Verwalter in einem nahegelegenen Shop für Anglerbedarf arbeitet. Also ab dafür.

Wir fanden den Shop und es lief reibungsloser als erwartet. „Kon’nichiwa, Sumimasen, Reservation for Mr. Sebastian. Hai. Arigatō.“ Und das Zimmer war geritzt.

Nachdem wir eingecheckt hatten ging es erstmal unter die Dusche. Danach begann die tägliche Routine: Bilder auf den Kameras sichten, aussortieren und dann auf Ralfs Tablet verschieben. Zwischendurch etwas essen und ein bisschen über den Tag quatschen. Natürlich wurden dann auch immer Pläne für den nächsten Tag gemacht.

Ein plötzliches Klappern an der Tür unterbrach unsere Aktivitäten. Zwei ältere Herren betraten den Gemeinschaftsraum der Unterkunft. Unsere vorherige Freude darüber, eventuell die einzigen Mieter zu sein, zerbrach augenblicklich. Aber was soll’s, wir sind ja hier um Land und Leute kennenzulernen. Nach einer anfänglichen Schüchternheit, kamen wir ins Gespräch. Einer der Herren sprach ganz passabel Englisch und erzählte uns, dass sie Hobbyangler seien und morgen die lokale Küste des Pazifik „unsicher“ machen wollten. Den Fischen räumte er dabei gute Chancen auf Entkommen ein, da sie keine erfolgreichen Angler wären, wie er weiter sagte.

Den eventuellen Hintergrund ihrer Reise erahnten wir, als unvermittelt eine Flasche Reisschnaps auf dem Tisch stand. Ich machte den Fehler und fragte was sie denn da trinken würden. Zack hatten wir jeweils ein Glas am Hals zum Probieren. Wer denkt, dass es bei dem Testglas blieb, irrt. Auch hier konnten wir wieder mit unseren Japanisch-Kenntnissen glänzen. So folgte ein „Kanpai“ dem nächsten.

Ein Handyschnapsschuss.

Tag 28: Da die allabendliche Routine gestern durch die Trunkenbolde unterbrochen wurde, hatten wir noch keinen Plan für den heutigen Tag. Die grobe Idee war aber der Küste zu folgen und so die Halbinsel Izu zu umwandern.

Dass der Plan so nicht aufgehen würde, wussten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Also stachen wir in See, zumindest optisch, da wir ja trockenen Fußes der Küste folgten.

Geile Karre.
Tunnel waren auch wieder am Start.
Tempel durften natürlich nicht fehlen.
Fuji San.
Wir bekamen heute vermutlich mehr Fische zu Gesicht, als unsere Anglerbekanntschaft der vergangenen Nacht.

Während einer Pause fand ich online einen Zeltplatz. Mangels Alternativen wurde dieser zum heutigen Tagesziel erklärt. Auch hier irrten wir wieder aber dazu später mehr.

Die besagte Pause.

Wir waren nun bereits vier Wochen unterwegs und hatten noch nie wirkliche Probleme gehabt einen Schlafplatz zu finden. Auf der Halbinsel Izu sah die Sache anders aus, wie wir bald feststellen sollten. Zum einen hatte die sogenannte „Goldene Woche“ gerade begonnen. Das ist eine sehr beliebte Urlaubszeit in Japan, dementsprechend sind viele Unterkünfte lange im Voraus ausgebucht. Das wussten wir Langnasen natürlich nicht. Das größere Problem für uns auf Izu war aber, dass es keine Parkanlagen gab, die wir als Ausweichmöglichkeit nutzen konnten. Alle halbwegs ebenen Flächen waren bebaut und der Rest war bewaldete Wildnis mit durchschnittlich 45 Grad Steigung.

Vielleicht erklärt das Foto unsere Lage etwas besser?

Nun also der Anstieg zum Campingplatz. Wir hauten uns vorher noch ordentlich die Rucksäcke mit Lebensmitteln und Wasser voll, da es beides oben nicht geben sollte, so hatte ich gelesen. Innerhalb von 3 Kilometern erklommen wir die 380 Höhenmeter zum Platz der Begierde und der Schweiß lief in Strömen.

Leider war der Platz bereits restlos belegt, wie uns der Inhaber mittels gekreuzter Zeigefinger unmissverständlich signalisierte. Unsere Enttäuschung darüber bemerkte er jedoch und zückte sein Telefon, um eine Art Telefonkette zu starten auf der Suche nach einem Platz für uns. Er versuchte es ungelogen etwa 30 Minuten lang, leider erfolglos. Uns blieb keine andere Wahl, wir mussten irgendwo anders unser Glück finden.

Also wieder runter vom Berg.

Eine nahegelegene und damit meine ich 6 km entfernte Ortschaft, hatte zumindest bei Google einen kleinen Park zu bieten. Der hätte uns gereicht. Dem war leider nicht so. Es war eigentlich nur eine Schaukel inmitten kleiner Wohnhäuschen. Auch das wäre uns mittlerweile Recht gewesen, doch wir liefen dem Eigentümer oder Nachbarn in die Arme. Dieser erklärte sehr freundlich aber abschließend, dass dieser Platz gesperrt sei. Auch er versuchte eine Lösung für uns zu finden. Dies verlief ebenfalls im Sande, allerdings bekamen wir diesmal jeder eine Orange als Wegzehrung geschenkt. Nach weiteren 2 Kilometern stoppten wir an einem Hinweisschild mit einer Landkarte der Umgebung. Es war mittlerweile 17 Uhr und unsere Hoffnungen schwanden allmählich dahin.

Doch plötzlich kamen drei Damen vorbei, die eine sehr liebe Hündin spazieren führten. Vermutlich weil sich die Hündin nasal zu uns hingezogen fühlte und natürlich weil wir die Frauen äußerst höflich begrüßten, kamen alle zu uns herüber. Nana, die Hündin schnüffelte ausführlich an unseren Schuhen und konnte gar nicht genug bekommen. Derweil hatten wir Zeit den Damen unser Dilemma zu erklären. Und wieder ging es los mit Brainstorming und Telefonaten, das war wirklich, wirklich herzerwärmend wie sich völlig fremde Menschen um unser Wohlergehen sorgten.

Wir entschlossen ein Stück des Weges zusammen zu laufen und uns weiter zu unterhalten. Als wir an einem Grundstück mit einem fetten Maserati in der Garage vorbeikamen, bemerkte eine der Frauen den Besitzer, den sie natürlich kannte. Dieser wiederum kannte den Betreiber eines Campingplatzes in den Bergen. Wieder wurde telefoniert und diesmal mit Erfolg. Es war sogar ein Doppelerfolg, denn der wohlhabende Japaner bot an, uns die 6 Kilometer auf den Berg zu fahren.

Natürlich nicht im Maserati, viel besser, er hatte einen Daihatsu Pickup und wir sprangen auf die Ladefläche. Was für ein cooles Abenteuer. Das war eine große Freude für alle Beteiligten, nur Nana schien etwas traurig zu sein.

Winke, winke.
Chuck war knülle und fiel zur Seite während wir den Berg hochgefahren wurden.

Am Platz angekommen, fielen wir fast vornüber bei der Verabschiedung vom unbekannt gebliebenen Maserati-Mann.

Jetzt mussten wir nur noch die Zelte aufschlagen und waren im doppelten Sinne fertig für die Nacht.

Gerade noch lobte ich die Ruhe auf dem voll belegten Spot. Diese Meinung änderte sich gegen 6 Uhr am heutigen Tag 29:

Als hätten sich alle Camper nen Wecker gestellt und vergessen uns Bescheid zu sagen, war plötzlich ein Gewusel auf dem Platz. Klar, wenn die Blase drückt, ab aufs Klo aber dann doch bitte zurück in die Falle. Nicht so der Japaner. Der fing an die Zeltplane aufzureißen und den Grill anzuschmeißen. Ich wiederhole: 6 Uhr, quasi mitten in der Nacht.

Ich kam mir schon ein bisschen schäbig vor, als ich gegen 8 Uhr meinen Kopf aus dem Zelt streckte und überlegte, ob es jetzt noch „Ohayō“ (Guten Morgen) heißen möge.

Für heute hatten wir wieder keinen Plan wo es hingehen sollte. Also ab zur Zeltplatzverwaltung und erstmal nen Kaffee trinken. Die Idee mit dem koffeinhaltigen Heißgetränk klappte und eine Unterkunft fanden wir kurz darauf auch. Der Plan enthielt eine Busfahrt, was unseren Plattfüßen sehr gefiel. Der Haken war jedoch, wir mussten zunächst 6 Kilometer über einen Berggipfel laufen.

Vorbei an Bambuswäldchen.
Unterwegs wurde vor reißenden Bestien gewarnt. Sehr gruselig.
Auch dieses schwarze Loch mussten wir durchqueren.
Hier ein Beispiel suboptimaler Geländenutzung eines Hobbywanderers. Er hatte keine Ahnung was hinter ihm los war und somit auch keine Chance zu reagieren. Amateur!!

Wir kamen pünktlich an der Bushaltestelle an und hatten sogar noch etwas Zeit zum Verschnaufen.

Sowie einem Wochenendbiker zu helfen die Karre aufzurichten und ihm dabei noch zu zeigen wo sich der listige Seitenständer der Leihmaschiene versteckt hielt. Wärend ein anderer Biker entspannt seine Cola trank.
Das Foto fing ich hinter dem Angel-Shop an Tag 27 ein. Das waren Schwarzmilane beim Abendessen.
Danach machten sie es sich auf einer Hochspannungsleitung gemütlich.